Stürmische Zeiten im Sparring

Entwicklungsaufgaben Erwachsene

Jede Lebensphase bringt Ihre besonderen Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben mit sich. Innerhalb einer bestimmten Zeit, Gesellschaft und Kultur sind das für die meisten Menschen einer Altersgruppe ähnliche Herausforderungen, zum Beispiel der Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf oder das Verlassen des Elternhauses in den Jahren zwischen 16 und etwa 20. Auf welche Art und Weise diese Herausforderungen bewältigt werden, trägt mit zur Persönlichkeits- und Lebensstilentwicklung eines Menschen bei.   


Das sogenannte "mittlere Erwachsenenalter", vor allem die Jahre zwischen 30 und 40, sind mit besonders hohen Hürden gespickt. Viele Menschen werden in diesen Jahren erstmals und zum Teil mit voller Wucht mit Endlichkeit, Vergänglichkeit und Sterblichkeit konfrontiert. Die eigenen Eltern altern, die ersten guten Freunde erkranken schwer oder chronisch, vielleicht sind sogar erste jung verstorbene Gleichaltrige zu betrauern. Eigene Erkrankungen werden wahrscheinlicher als sie es bisher gewesen sind, der Körper sendet erste Signale von Verwundbarkeit und Alterung. 

 

Manch einer kämpft mit dem Trennungsschmerz nach einer ersten langjährigen Beziehung mit ernsthafter und konkreter Zukunftsperspektive. Erkennt, dass eine Trennung mit Anfang bis Mitte 30 anders ist als eine Trennung mit Anfang bis Mitte 20. Spürt die Angst, die sich unter den Verlustschmerz mischt. Angst dass eine nächste Beziehung weniger Zeit haben wird, vieles was man in den vergangenen Jahren mit einem Partner erlebt hat, in einer nächsten Beziehung keinen Platz mehr haben wird. Angst, dass es vielleicht zu spät sein könnte eine Familie zu gründen. Angst, dass es schwieriger sein wird als früher, überhaupt einen neuen Partner zu finden. 


Ein anderer hat bisher vielleicht als unbekümmerter Single ganz zufrieden gelebt und sich eher auf die Arbeit, den Sport oder die Freunde konzentriert als auf die Partnersuche. Wenn dann scheinbar jeder im näheren und weiteren Umfeld zu heiraten und Kinder zu bekommen beginnt, bedrückt den Alleinstehenden vielleicht zunehmend die Angst vor Einsamkeit und "Torschluss". 

 

Anderen bleiben Trennungsschmerz und Einsamkeit womöglich erspart, doch müssen sie erkennen, dass ein gemeinsamer Kinderwunsch schon viel zu lange unerfüllt geblieben ist. Stellen sich vielleicht die Frage, ob eine Kinderwunschbehandlung trotz aller Belastungen und Unwägbarkeiten, die sie für jeden Partner individuell und beide zusammen als Paar mit sich bringt, eine Lösung sein könnte. Andere Paare erleben das Glück der Schwangerschaft und vielleicht auch noch der Geburt ihres gemeinsamen Kindes, müssen dann aber dessen Verlust betrauern.  


Viele Menschen bleiben natürlich von derart verheerenden Schicksalsschlägen verschont. Noch weiter verbreitet als zum Beispiel der unerfüllte Kinderwunsch, sind wohl die beruflichen Probleme und Zweifel, die sich im mittleren Erwachsenenalter gehäuft einstellen. Beruflich geht es vielleicht nicht in die gewünschte oder jahrelang erträumte Richtung, was plötzlich Druck erzeugt. Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen sind komplexer und womöglich grundsätzlicher als früher, weil man nach abgeschlossener Ausbildung und mit zunehmender Berufserfahrung auf Augenhöhe miteinander spricht. Einerseits werden eigene Interessen, Bedürfnisse und Vorstellungen konkreter als sie es früher waren, andererseits sind bereits einige Jahre vergangen, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Eine Entwicklung, die vielleicht zu der Erkenntnis führt, dass man im bisherigen Beruf oder Berufsbereich im Grunde nicht zufrieden ist. An dieser Stelle plagt nicht wenige Menschen der Gedanke an "verlorene Jahre". Sie fragen sich, warum sie nicht schon früher einen anderen Weg eingeschlagen haben. Hadernd kreisen plötzlich Gedanken wie "Hätte ich doch auf meine Neigung gehört und wäre Maler geworden", "Hätte ich doch damals bloß das Studium gemacht", "Hätte ich mich doch vor Jahren schon bei einem anderen Unternehmen beworben" und ähnliches. 


Nicht selten kommen im mittleren Erwachsenenalter auch Herausforderungen und Entscheidungen aus mehreren Bereichen zusammen. Plötzlich spürt man dann wirklich deutlich, dass die eigenen Kräfte und Kapazitäten nicht unendlich sind. Das Leben zeigt sich von seiner wuchtigsten Seite, ohne dass man bereits soweit wäre über die "Weisheit der Jahre" verfügen zu können. Ganz nebenher muss man sich dann auch noch um die Rente und medial geschürte Ängste vor drohender Altersarmut kümmern.


Gefühle betäuben

Es wird dem einen oder anderen in dieser Altersspanne erstmals "alles zu viel". Zu viel Wunden, vielleicht sogar schon die eine oder andere Narbe, vielleicht tief sitzende Enttäuschung, gepaart mit Angst vor einer Zukunft, die anders werden könnte als erwartet. Oft die ersten wirklich tiefen Gefühle von Verletzung, Trauer, Verbitterung, Kränkung, Verlassenheit oder Verrat. Zu viel Schmerz und Angst, genug Jahre die bereits unwiederbringlich vergangen sind und zu wenige, um bereits weise und gelassen auf die aktuelle Situation blicken zu können. Dazu der Druck "von nun an aber wirklich alles richtig machen zu müssen". Dies ist womöglich das Kerndilemma dieser Lebensspanne. 

Häufig ist das Dilemma so groß und so zehrend, dass die stärkste Motivation darin besteht, ähnlich quälende Gefühle jetzt und in Zukunft nicht mehr erleben zu müssen. Ablenkung und Betäubung bieten diese Erlösung. Die Menschen arbeiten mehr denn je, treiben exzessiven Sport, trinken immer gewohnheitsmäßiger die halbe Flasche Wein am Abend, nehmen zum einschlafen vielleicht noch ein Beruhigungsmittel. Oder sie konsumieren etwas nicht-stoffliches exzessiv, zum Beispiel das Internet, die sozialen Medien oder Computerspiele. Oder sie flüchten in immer mehr Raum einnehmende Fantasien von dem Leben, dass sie eigentlich gerne gelebt hätten, um den Schmerz um die aktuelle Situation nicht zu empfinden. Auch vermeiden sie die Nähe zu anderen Menschen in einem offenen Gespräch über ihre Sorgen und Gefühle. Sie machen dicht, schotten sich von sich selbst und anderen Menschen ab. Eine für den Moment angenehm lindernde emotionale Taubheit ist die Folge. Wirkliche Heilung der Wunden und Weiterentwicklung der Person bleiben jedoch aus, wenn es an dieser Stelle nicht weitergeht. 


Gefühle leiten

So schmerzhaft, frustrierend, kränkend oder desillusionierend die Erfahrungen des "mittleren Erwachsenenalters" auch sein mögen, sie bieten immer auch die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen, zu erfahren, zu erkennen. Die Möglichkeit neuer Perspektiven und Wege. Manche Herausforderungen, die aus der "Hätte-ich-doch"-Sicht furchtbar erscheinen, stellen sich aus der "Wie-gut-dass-ich-gelernt-habe-dass"-Sicht ganz anders dar. Selbst die schmerzvollste aller Erfahrungen, der Verlust eines geliebten Menschen, kann am Ende des Trauerweges Weiterentwicklung und Wachstum bedeuten. 

 

Um die Aufgaben des Lebens - sehen wir das Leben als Sparringspartner, nicht als Gegner - zu bewältigen, ist der erste wichtige Schritt die Akzeptanz schmerzhafter Gefühle, von Unsicherheit, Ambivalenz, Irritation und auch von Leid. All diese emotionalen und mentalen Zustände sind normale Reaktionen auf Herausforderungen und Schicksalsschläge. Wir brauchen sie, um die Situation in ihrer Gesamtheit und Bedeutung zu erfassen und zu verarbeiten. Und schließlich auch, um neue Wege zu gehen. Gefühle sind in erster Linie eine Art Alarmanlage zur Sicherheit des Organismus. Sie zeigen an, wenn etwas Beachtung verdient, bedrohlich, wichtig oder hilfreich ist. Im nächsten Schritt sind Gefühle auch unser Kompass, wenn es gilt neue Wege zu entwerfen. Den Stecker aus der Alarmanlage zu ziehen und die Nadel des Kompass auf einer Position zu fixieren, beschert uns kurzfristig gewisse Ruhe, langfristig aber auf Kosten unserer Orientierung im Sparring. 

 

 

Wenn Sie die Kommentarfunktion nutzen möchten, beachten Sie bitte besonders meine Informationen zum Datenschutz.  

 

Meldungen über neue Blog-Artikel regelmäßig erhalten via facebookGoogle+ und twitter.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    miriam (Sonntag, 20 April 2014 20:41)

    Der Artikel ist zwar schon etwas älter, dennoch wollte ich danke sagen. Ich bin jetzt 30 und bei mir sind unglaublich viele Dinge zusammengekommen, die zu einer Dekompensation geführt haben. Es ist tröstlich zu wissen, dass zumindest ein Teil meiner Fragen an das Leben ganz normal für diesen Lebensabschnitt sind.

  • #2

    psyberlin (Dienstag, 22 April 2014 10:56)

    Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung, es freut mich sehr, dass der Artikel Sie angesprochen hat. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für Ihren weiteren Weg!