Die jungen Alten

Telomerase verkürzt durch Gewalt

Die Ergebnisse einer groß angelegten britischen Studie (Shalev et al., 2012, Molecular Psychiatry, 1-6) belegen einmal mehr die folgenschweren Einflüsse von Gewalterfahrung und chronischem Stress im Kindesalter. Diese Einflüsse betreffen nicht nur Gehirnstrukturen, die an der Regulation von Angstgefühlen beteiligt sind (s.a. Leben in Alarmbereitschaft), sondern wie jüngst gezeigt wurde auch Veränderungen in DNA-Proteinen, den Telomeren. Diese Substanz sitzt am äußeren Rand von Chromosomen und sorgt für deren Schutz gegen schädliche Einflüsse und Zelltod. 

Die aktuellen Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Kinder, die im Elternhaus oder in der Schule Gewalt ausgesetzt sind, verkürzte Telomere haben. Diese Verkürzung tritt normalerweise im höheren Lebensalter auf und ist verantwortlich für generelle Alterungsprozesse und altersbedingte körperliche Erkrankungen - in der aktuellen englischen Studie traten diese Veränderungen bei durch Gewalterfahrung belasteteten Kindern jedoch bereits im Alter von 10 Jahren ein. Die federführenden Wissenschaftler vermuten hierin eine Ursache für die erhöhte Anfälligkeit für körperliche Erkrankungen bei Menschen mit Erfahrungen häuslicher oder schulischer Gewalt in der frühen Kindheit. 

Die Molekularbiologin Elizabeth Blackburn erläutert in einem aktuellen Artikel in der ZEIT darüber hinaus wie auch nicht gewaltvolle, aber chronisch belastende Erfahrungen, wie zum Beispiel die partielle Übernahme der Erwachsenenrolle in der Beziehung zu den Eltern, einen solch gravierenden Effekt auf die Telomerase haben kann. 

 

Kinder mit traumatischen Erfahrungen, wozu auch die Vernachlässigung oder nicht-kindgerechte Beanspruchung zählen können, sind biologisch vorgealtert. Der Umgang mit dieser Erkenntnis kann für Betroffene im Erwachsenenalter äußerst belastend sein - zusätzlich zu der Belastung, die sich aus der Tatsache an einer körperlichen Erkrankung zu leiden ergeben kann. Wie auch für die durch traumatische Erfahrungen veränderten Furchtstrukturen im Gehirn gilt jedoch auch hier, dass ein Umgang mit der eigenen Biographie, eine Bewältigung der sich daraus ergebenden Hürden und Erschwernisse und der Blick nach vorne möglich sind, was jedoch unbedingt der sozialen und emotionalen Unterstützung bedarf, aus dem persönlichen Umfeld oder auch gegebenenfalls in Form einer psychotherapeutischen Begleitung oder psychologischen Beratung. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Lisa (Mittwoch, 27 Oktober 2021 11:41)

    Danke für die Aufklärung!
    Ich musste seit dem ersten Schuljahr über 11 Jahre hinweg mit Mobbing leben. Ich war frühreif und als Teenager auch schon kognitiv reifer als meine Mitschüler. Dieser Artikel gibt mir die Erklärung dafür.