Begierde, Zen und Yoga

Integrative Therapie

Seit Donnerstag können Sie im Kino etwas über die Geschichte der Psychotherapie erfahren. Die vom Ringen um intellektuelle Überlegenheit auf der einen Seite, Autonomie und enge Verbindung auf der anderen Seite, von unterschiedlichen ethnischen Wurzeln und Standesdünkel herausgeforderte Freundschaft zwischen Mentor Sigmund Freud und (emporstrebendem) Lehrling Carl Gustav Jung bildet den Hintergrund dieser Geschichte. Nebenschauplatz und Versinnbildlichung grundlegender Annahmen der Psychoanalyse zugleich, ist die Affaire zwischen C.G. Jung und seiner jüdischen Patientin Sabina Spielrein, die anschließend selbst Psychoanalytikerin wurde und später im Zuge des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im Jahr 1942 hingerichtet worden ist. 

 

Der Laie mag durch den Film 'Die dunkle Begierde' (im Original 'A Dangerous Method') nicht gänzlich aufgeklärt werden über Methodik und Wirkmechanismen der psychoanalytischen Therapie, wohl aber klingt an, welchen Verdienst die Entwicklung der Psychoanalyse für Psychiatrie und Psychologie darstellt. 

Bevor Freud auf Existenz und Bedeutung unbewusster Inhalte des menschlichen Geistes hinwies, galten psychische Symptome in der Medizin seelischer Erkrankung als ausschließliches Produkt eines "Gehirndefekts", welcher als weitgehend unheilbar galt, weshalb Menschen mit seelischen Problemen und psychischen Erkrankungen zunächst wenig an die Hand gegeben werden konnte, ihre Beschwerden zu überwinden. Denn bis heute wissen wir zwar, dass neben psychologischen auch neurobiologische Faktoren bei Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen eine Rolle spielen können, welche dies für einzelne Beschwerdebilder jedoch konkret sind, ist bis heute nicht erschöpfend bekannt. Durch Freuds Arbeiten wurde der bis dato rein medizinische Blick auf die Psyche erweitert um den Einbezug der Bedeutung von Gefühlen, Erinnerungen und psychischen Mechanismen, die der Verarbeitung und Bewältigung bestimmter Erlebnisse dienen. Auch die Bedeutung von Erziehung und Umgang mit Kindern rückte dank Freud in den Fokus des Interesses, er bewirkte die Anerkennung des Einflusses frühkindlicher Erfahrungen auf die spätere psychische Verfassung. Und dies, wie der Film verdeutlicht, gelang ihm trotz zunächst äußerst geringer Resonanz seiner Ideen außerhalb der Fachgemeinschaft. 

 

Heute wird die auf Freuds Arbeiten fußende Psychoanalyse und in Teilen auch ihre Weiterentwicklung, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, erneut kontrovers diskutiert, nichtsdestoweniger gehören beide Verfahren neben der kognitiven Verhaltenstherapie zu den wissenschaftlich und sozialrechtlich anerkannten Psychotherapieverfahren, deren Durchführung von Krankenkassen aufgrund bestehender Wirksamkeitshinweise finanziert wird. 

Beiden Verfahren gemeinsam ist ihre Begründung in der psychodynamischen Lehre vom Wirken unbewusster Prozesse, die sich insbesondere ergeben aus dem Bemühen, egozentrisch-lustbetonte Triebwünsche vorrangig sexueller Grundlage auf der einen Seite und überhöhte internalisierte moralische Normen und Standards auf der anderen Seite, in eine ausgewogene Balance zu bringen. Der Inhalt der Triebwünsche soll sich dem Konzept zufolge vorrangig speisen aus frühkindlichen Erfahrungen mit der Befriedigung libidinöser Impulse - zum Beispiel die Befriedigung durch lutschen und saugen in der sogenannten oralen Phase im ersten Lebensjahr. Wird diese versagt oder unangemessen bedient, kann eine Fixierung entstehen und auch der erwachsene Mensch wird weiterhin auf diese Art der Lustbefriedigung fokussiert sein, möglicherweise Raucher oder von einer anderen Substanz abhängig werden. Darüber hinaus sollen Symptome dadurch entstehen, dass von der Gesellschaft gemeinhin wenig akzeptierte Gefühle, wie zum Beispiel Wut auf die eigene Mutter, abgewehrt werden und sich so gegen die eigene Person richten können. Die psychodynamische Lehre ist weitaus komplexer als hier darstellbar, die hier genannten Annahmen bilden lediglich Fragmente ab, um einen Eindruck zu vermitteln.

Die Kontroverse um die daraus abgeleiteten Therapieformen ergibt sich daraus, dass beide Verfahren auf Annahmen der psychodynamischen Lehre beruhen, welche nicht auf wissenschaftlich fundierten Befunden fußt. Sie wurde im wesentlichen auf Grundlage der Beobachtung von Fallbeispielen formuliert, was nicht den Standards wissenschaftlicher Untersuchungen entspricht. Nichtsdestotrotz erweisen sich sowohl Psychoanalyse als auch tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als wirksam in der Behandlung bestimmter psychischer Probleme, insbesondere leichter depressiver und ängstlicher Beschwerden sowie chronischer Probleme in der Bewältigung bestimmter Lebensaufgaben. Insbesondere die Psychoanalyse dient jedoch eher der grundlegenden Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit durch vertiefte Selbstkenntnis als einer zeitnahen Symptomreduktion. Tiefenpsychologisch fundierte Kurzzeittherapien können hingegen effektiv und praktisch orientierte Hilfe bei konkreten und aktuellen Einzelproblemen bieten. 

 

Integrative Therapie

 

Die theoretischen Annahmen und Wirkmechanismen der kognitiven Verhaltenstherapie sind dem psychodynamischen Ansatz gegenüber wissenschaftlich exakter fundiert, leiten sich aus empirischen Studien unter kontrollierten Bedingungen her und werden auch fortlaufend an diesen geprüft. Grundlegend geht die kognitive Verhaltenstherapie davon aus, dass Symptome dadurch entstehen, dass lebenslanges Lernen und neuronale Plastizität dazu führen, dass jeder Mensch bestimmte Grundannahmen und Schemata darüber entwickelt, wie er selbst, andere Menschen und die Welt sind und funktionieren. Diese Schemata können in manchen Fällen so ausgestaltet sein, dass sie zu eher ungünstigen Interpretationen bestimmter Lebens- und Alltagsereignisse führen, zum Beispiel eine Neigung besteht, Misserfolge der eigenen Unzulänglichkeit zuzuschreiben oder sich von Veränderung und Neuem leicht bedroht zu fühlen. Diese Schemata müssen uns nicht zwangsläufig bewusst sein, können aber dennoch das Verhalten, Denken und Fühlen prägen. Hierin besteht eine Parallele zur Psychoanalyse, wobei die kognitive Verhaltenstherapie davon ausgeht, dass die Inhalte der Schemata äußerst vielfältig sein können. Ein Bezug zu sexuellen oder libidinösen Inhalten und Erfahrungen wird nicht grundlegend angenommen. "Begierden" beziehen sich im integrativen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzept eher darauf, dass es bestimmte universelle Grundbedürfnisse gibt, deren Nichterfüllung oder nicht-angemessene Erfüllung zu psychischen Beschwerden führen kann, zum Beispiel die Bedürfnisse nach einer sicheren Verbindung zu anderen Menschen und einem gewissen Grad an Unabhängigkeit in der eigenen Lebensgestaltung.

Eine zweite Annahme der kognitiven Verhaltenstherapie besteht darin, dass Denken, Fühlen, körperliche Reaktionen und konkretes Verhalten wechselseitig miteinander zusammenhängen. Bestimmte Ereignisse oder Lebenssituationen führen dazu, dass vergangene Erfahrungen und die aus ihnen entstandenen synaptischen Netzwerke besonders stark aktiviert werden und damit auch die "Filter", die Wahrnehmung und Interpretation von Ereignissen beeinflussen. In diesem Falle würden verstärkt negative Gedanken wie zum Beispiel "Ich schaffe das sowieso nicht" auftreten, die dann auch einen negativen Einfluss auf Stimmung, körperliches Befinden (inklusive Schlaf und Appetit) sowie das Verhalten haben (zum Beispiel in Form von Rückzug von Kontakten und Aktivitäten). Die Therapie setzt auf allen Ebene an: Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen und Verhalten, welche - auch eine grundlegende Annahme - veränderbar sind, da sie auf Lernerfahrung beruhen. 

 

Auch hier haben sich in den letzten Jahren vielfältige Weiterentwicklungen ergeben. Zum Beispiel sind sich Verhaltenstherapeuten heute einig darüber, dass Grundhaltungen und Techniken aus dem Zen-Buddhismus wie zum Beispiel die Achtsamkeit im Alltag, die Übung einer grundlegend akzeptierenden Haltung sowie Entspannungstechniken wie Yoga psychische Beschwerden nachweislich lindern können. 

Vertiefende Informationen zur Verhaltenstherapie finden Sie bei Interesse hier sowie in der Beschreibung der einzelnen Krankheitsbilder im Infobereich.

 

Der Trend zum schulenübergreifenden Arbeiten, die interdisziplinäre Neugier und das Bemühen, Behandlungsansätze stetig weiterzuentwickeln, um möglichst vielen Menschen möglichst individuell helfen zu können, lässt die meisten Praktiker heute eklektizistisch arbeiten, sich also gemäß individueller Beschwerden der Betroffenen aus verschiedenen Therapieschulen bedienen, um möglichst maßgeschneidert helfen zu können. Eine systematische Integration unterschiedlicher Ansätze stellt die sogenannte Schematherapie dar, die Sie hier näher beschrieben finden. 

 

Ein langer Blog-Artikel, nichtsdestotrotz nur ein kurzer Einblick in die Vielgestaltigkeit therapeutischer Schulen und Ansätze - wie könnten sie simpler sein, beschäftigen sie sich doch mit dem Komplex der menschlichen Psyche. 

 

Sollten Sie selbst Orientierung suchen, kontaktieren Sie zum Beispiel den unabhängigen Informationsdienst Psychotherapie, um sich bezüglich der für Sie und Ihr Anliegenden passenden Methode professionell beraten zu lassen. 

 

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