Definition und Beschreibung der Symptomatik

 

Verhaltenssüchte werden auch als nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten bezeichnet, da sie sich nicht auf den übermäßigen oder schädigenden Konsum psychoaktiver Substanzen, sondern auf die übermäßige Beschäftigung mit bestimmten Verhaltensweisen oder Aktivitäten beziehen. Sie werden diagnostisch nicht in die gleiche Kategorie eingeordnet wie die stoffgebundenen Abhängigkeiten, teilen mit ihnen jedoch einige Merkmale.

 

In dem in Deutschland verbindlichen international verwendeten Diagnosesystem gehören die Verhaltenssüchte zu den "Abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle". Definiert werden sie als wiederholte Handlungen, die nicht vernünftig bzw. zweckorientiert motiviert sind, durch unkontrollierbare Impulse hervorgerufen werden und die Interessen des Betroffenen oder anderer Menschen schädigen. Hierunter fallen zum Beispiel pathologisches Spielen, Einkaufen oder Arbeiten. In jüngerer Zeit wird auch die Online- oder Internetsucht zu den Verhaltenssüchten gezählt. 

 

Gemeinsame Merkmale vieler Verhaltenssüchte sind die Übermäßigkeit der Ausübung des Verhaltens, eine hohe Ansprechbarkeit durch Reize, die mit dem Verhalten zu tun haben, ein unwiderstehliches Verlangen oder ein unkontrollierbarer Impuls sich dem Verhalten hinzugeben, die inhaltliche Einengung des Denkens auf den jeweiligen Verhaltensbereich, die kurzfristige Reduktion von Anspannung oder anderen negativen Erlebniszuständen wie Stress oder Niedergeschlagenheit durch die Ausführung des Verhaltens, zum Teil ein gewisser Nervenkitzel bzw. Kick, der mit dem Verhalten einhergeht, die Erhöhung der "Dosis" (z.B. des Zeitaufwands oder der Häufigkeit) zur Erreichung der gewohnten (zum Beispiel entspannenden) Wirkung im Zusammenhang mit dem Verhalten, das Verspüren eines gewissen Unbehagens, wenn das Verhalten nicht ausgeführt werden kann und die häufig folgende Entwicklung von emotionalen Problemen wie z.B. Depressivität. Letzteres hängt unter anderem oft damit zusammen, dass sich im Verlauf der Suchtentwicklung der Lebens- und Erlebensmittelpunkt immer mehr auf den Suchtgegenstand hin ausrichtet. Eine internetsüchtige Person zum Beispiel vernachlässigt das reale Lebensumfeld, die realen Kontakte und Verpflichtungen zugunsten ihrer Aktivitäten in der virtuellen Realität.

Auch negative Konsequenzen der Verhaltenssucht wie zum Beispiel finanzielle Engpässe oder die Anhäufung von Schulden im Rahmen einer Spielsucht oder der Rückzug nahestehender Bezugspersonen aufgrund des süchtigen Verhaltens können ebenfalls zur Entwicklung depressiver Symptome beitragen. 

 

 

Entstehungshintergründe 

 

An der Entstehung einer nicht-stoffgebundenen Abhängigkeit können verschiedene Faktoren beteiligt sein, die ganz individuell betrachtet werden müssen. 

 

Allgemein spielt häufig das Prinzip der sogenannten "negativen Verstärkung" eine wichtige Rolle. Negative Verstärkung bedeutet, dass eine Verhaltensweise dann mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder gezeigt wird, wenn sie einen unangenehmen Zustand beendet oder reduziert. Von Verhaltenssüchten betroffene Menschen berichten häufig, dass sie sich besser fühlen, wenn sie mit Glücksspiel, Einkaufen oder dem Surfen im Internet beschäftigt sind. Diese Verhaltensweisen führen dazu, dass eine zuvor empfundene Anspannung, Angst, Traurigkeit oder Langeweile zumindest für den Zeitraum des Spielens, Einkaufens oder Surfens weniger oder gar nicht mehr empfunden wird - somit wird die erneute und gesteigerte Ausführung dieser Verhaltensweisen wahrscheinlicher. 

Möglich ist auch eine Suchtentwicklung im Rahmen einer sogenannten "Selbstmedikation". Dieser Begriff kommt aus dem Bereich der stoffgebundenen Abhängigkeit und kann auf die Verhaltenssüchte dahingehend übertragen werden, dass manche nicht-stoffgebunde Abhängigkeit sich entwickelt, weil eine Person, die an einer Depression oder Angststörung leidet, versucht diese mit zum Beispiel exzessiver Internetnutzung oder Glücksspiel selbst zu "behandeln". 

 

Inwieweit Menschen anfällig für die Entwicklung  einer Sucht sind, ist individuell unterschiedlich und hat sowohl mit neurobiologischen Charakteristika zu tun (zum Beispiel wie "reizhungrig" das Gehirn ist) als auch mit dem Repertoire an gelernten Strategien im Umgang mit unangenehmen Empfindungen und zur Herbeiführung angenehmer Gefühlszustände. 

 

Eine besondere Rolle kommt dabei dem Modus des Distanzierten Selbstberuhigers oder Selbststimulierers aus dem schematherapeutischen Modusmodell zu. Er wird verstanden als erlernte Bewältigungsstrategie vor dem Hintergrund von in der Kindheit frustrierten emotionalen Grundbedürfnissen. Kernmerkmale dieser Bewältigungsstrategie, die sich im Laufe des Lebens verfestigen und unangenehme Konsequenzen mit sich bringen kann, ist die Betäubung schmerzhafter Gefühle durch den Konsum von psychoaktiven Substanzen oder die übermäßige Beschäftigung mit bestimmten Aktivitäten. 

Auch kindliche Modi, die bestrebt sind, möglichst ungehemmt möglichst viel hedonistisch zu erleben oder Schwierigkeiten damit haben, sich diszipliniert der Erreichung längerfristiger Ziele zuzuwenden, können eine Rolle spielen.

 

 

Therapiemöglichkeiten 

 

Die kognitive Verhaltenstherapie kann bei Verhaltenssüchten gute Erfolge erzielen. 

Am Anfang einer Behandlung stehen ausführliche Informationen zum Störungsbild und die gemeinsame Erarbeitung der Entwicklung des Problems. Dazu gehört es, das Problem erst einmal ganz konkret zu definieren. Das bedeutet, dass die übermäßigen Verhaltensweisen genauer analysiert werden: in welchen Situationen tritt das Verhalten verstärkt auf, in welchen weniger, welche kurz- und langfristigen Konsequenzen hat es. 

Schritt für Schritt wird therapeutisch unterstützt eine Reduktion des unerwünschten Verhaltens erreicht - in manchen Fällen sollte eine vollständige Abstinenz das Ziel sein, in anderen (wie zum Beispiel im Falle der Arbeitssucht) ist eine Senkung der Verhaltensrate auf ein gesundes Maß anzustreben. Parallel werden alternative Verhaltensweisen erarbeitet, die Betroffenen helfen, unangenehme Gefühle zu reduzieren bzw. mit ihnen umzugehen und angenehmes Erleben auf nicht-schädigende Weise herbeizuführen. 

Die individuell als bedeutsam identifizierten Entstehungshintergründe liefern meist wichtige Ansatzpunkte für die Therapie. So können zum Beispiel Unsicherheiten im Kontakt mit anderen Menschen ein Faktor sein, der dazu führt, sich zunehmend online zu bewegen statt in der Realität. Diese soziale Unsicherheit ist im Rahmen einer Kognitiven Verhaltenstherapie sehr gut in den Griff zu bekommen. 

Insbesondere die Aufarbeitung von Bedürfnisfrustrationen in der kindlichen Entwicklung ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung (im Rahmen einer Erweiterung kognitiv-verhaltenstherapeutischer um schematherapeutische Strategien). 

 

Je nach Art der Verhaltenssucht, sind spezifische therapeutische Strategien indiziert, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. In jedem Falle ist es bei entsprechender Motivation jedoch gut möglich, das eigene Verhalten wieder unter Kontrolle zu bringen und wieder Platz für andere Aktivitäten und Beziehungen zu schaffen! Dass die Motivation insbesondere anfangs noch sehr ambivalent und schwankend ist, ist ebenfalls ganz normal. Eine erste Therapiephase kann helfen, auf Basis gemeinsamen Abwägens eine Entscheidung für oder gegen das Beibehalten einer Verhaltenssucht zu treffen. 

 

 

Buchempfehlungen zum Thema:  

 

Arnhold, J. & Hoppe, H. (2019). Ausstieg aus Verhaltenssüchten - Wie Schematherapie helfen kann. Paderborn: Junfermann. 

 

Grüsser, S.M. & Thalemann, R. (2006). Computerspielsüchtig? Rat und Hilfe. Bern: Huber. 

ISBN: 978-3-456-84325-4.

 

Grüsser, S.M. & Thalemann, R. (2006). Rien ne va plus  - Wenn Glücksspiel Leiden schafft. Bern: Huber. 

ISBN: 978-3-456-84381-0.

 

Informationen und Netzwerke online 

 

Faules Spiel - Fachstelle für Suchtprävention zur Prävention von Glücksspielsucht mit Informationsportal.  

 

Kompetenzzentrum Verhaltenssucht an der Uniklinik Mainz. 

 

Materialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA zur Suchtvorbeugung.