Definition und Beschreibung der Symptomatik

 

Von einer somatoformen Störung wird in den medizinischen Wissenschaften gesprochen, wenn ein Mensch stark unter körperlichen Beschwerden leidet, für die sich jedoch keine organmedizinische, also körperliche, Ursache finden lässt, die Art oder Ausmaß der Beschwerden erklären kann. Der Begriff "somatoform" bedeutet, dass die Beschwerden wirken, als seien sie körperlich (somatisch) verursacht, ohne es aber tatsächlich zu sein. 

 

Das Leiden und die Beeinträchtigung durch die körperlichen Symptome und Beschwerden ist häufig sehr hoch. 

Betroffene können zum Beispiel belastet sein durch Abgeschlagenheit, Erschöpfung, Gereiztheit, Nervosität, Angst, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schwindel, Kopfdruck, sexuelle Störungen, Schwitzen, Taubheitsgefühle , Aufstoßen, Kloßgefühle im Hals, Hautveränderungen, Gliederzittern oder auch ganz spezifische Herz- oder Magen-Darm-Beschwerden oder körperliche Schmerzen, die jedoch gleichsam ohne (oder ohne hinreichenden) körperlichen Befund auftreten.

Manchmal stehen einige wenige Symptome im Vordergrund, manchmal wechseln jedoch auch eine Vielzahl unterschiedlichster Symptome über die Zeit. 

In manchen Fällen sind weniger körperliche Symptome für eine starke Belastung verantwortlich, sondern die Annahme, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden, die bislang von den Ärzten jedoch noch nicht identifiziert werden konnte.  

 

Die hohe Belastung durch die körperlichen Symptome kann dazu führen, dass Betroffene sich immer wieder verzweifelt an einen Arzt wenden, um dort eine Erklärung für die Beschwerden sowie eine wirksame Behandlung zu erhalten. Nicht selten kommt es vor lauter Hilflosigkeit auch zur Einnahme verschiedener Medikamente in Eigenregie - was unter Umständen weitere Beschwerden oder eine Medikamentenabhängigkeit nach sich ziehen kann. 

 

Die Beeinträchtigungen belasten nicht selten auch die familiären Beziehungen Betroffener sowie ihre berufliche Leistungsfähigkeit und führen zu langen und zehrenden Odysseen durch das medizinische Versorgungssystem. 

 

Die Möglichkeit einer psychischen Verursachung der erlebten Symptome und Schmerzen wird häufig erst recht spät in Erwägung gezogen, was in Anbetracht der massiven Beschwerden durchaus verständlich ist. Auf den ersten Blick scheint dieses Erklärungsmodell auch eher wenig naheliegend. 

 

 

Entstehungshintergründe 

 

Tatsächlich ist es jedoch so, dass bestimmte psychologische Faktoren dazu führen können, dass ganz real (!) körperliche Symptome und Schmerzen empfunden werden oder die Überzeugung besteht, an einer schweren Krankheit zu leiden, obwohl objektiv keine oder keine hinreichende körperliche Ursache vorliegt. 

 

In der Entwicklung einer somatoformen Störungen spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, die individuell auch recht verschieden sein können und oftmals erst im Lauf einer Therapie herausgearbeitet werden können. 

 

Bei vielen Menschen mit Beschwerden wie oben beschrieben, hat sich jedoch gezeigt, dass bestimmte Erfahrungen in der Kindheit und Jugend bezüglich des Umgangs wichtiger Bezugspersonen mit Krankheit oder eine eigene oder familiäre Krankheitsgeschichte zu gewissen unbewussten Grundhaltungen führen, die besonders aufmerksam auf körperliche Empfindungen und Veränderungen machen. Häufig findet sich zum Beispiel eine Grundsorge, besonders verletzlich und anfällig zu sein und deshalb in besonderem Maße auf den Körper achten zu müssen. 

Auch belastende Erfahrungen in Kindheit und Jugend sowie gewisse Schwierigkeiten damit, eigene Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, finden sich nicht selten bei Menschen, die an einer somatoformen Störung leiden. 

 

Bestimmte Auslöser können nun Grundsorgen wie die bezüglich der eigenen Verletzlichkeit sehr stark auf den Plan rufen, sodass sie massiv auf das Denken, Fühlen und Handeln des Betroffenen einwirken. Somit erhöht sich zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf irgendwelche körperlichen Missempfindungen. Diese treten im Verlauf eines normalen Tages recht häufig auf und sind in aller Regel harmlos. Wenn man sie aber nun in einer verunsicherten oder besorgten Grundstimmung an sich bemerkt, kann es sein, dass man sie als Anzeichen einer Erkrankung missdeutet. Diese Interpretation steigert die Besorgnis natürlich noch, was mit anderen körperlichen Missempfindungen (normale Begleiterscheinungen eines Besorgtheitsgefühls) einhergeht. Dies wiederum steigert die Sorge. Ein Teufelskreis kann sich entwickeln. Besteht nach einem so zustande gekommenen Arztbesuch Zweifel an dessen Versicherung, dass alles in Ordnung ist, schaukelt der Teufelskreis aus Besorgtheit, erhöhter Aufmerksamkeit für Symptome und Angst vor Erkrankung sich immer mehr hoch bzw. entfacht sich immer wieder von neuem. 

Manche Menschen neigen dann auch dazu, sich immer mehr zu schonen, was körperliche Missempfindungen und Beschwerden langfristig eher vermehren kann und somit auch zur Aufrechterhaltung der Symptome beiträgt - und das, obwohl es sie eigentlich lindern soll. 

 

Inwieweit solche oder ähnliche Faktoren beim Erleben von körperlichen Beschwerden ohne organmedizinische Ursache im Einzelfall tatsächlich eine Rolle spielen, muss selbstverständlich ganz in Ruhe individuell abgeklärt werden.

 

   

Therapiemöglichkeiten

 

Es hat sich erwiesen, dass Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie bei körperlichen Beschwerden ohne medizinische Ursache und Ängsten vor Erkrankung wirksam helfen können.

 

Zunächst einmal muss der Therapeut ganz genau verstehen, welcher Art die körperlichen Symptome sind, weshalb der eingehende Austausch darüber sehr wichtig ist. 

 

Methoden der genauen Symptombeobachtung können dann helfen, bestimmte Umstände zu identifizieren, unter denen die Beschwerden mehr bzw. weniger stark ausgeprägt sind. So können zum Teil auch ganz bestimmte Auslöser von Symptomen gefunden werden, was eine gewisse Kontrollmöglichkeit über einzelne Symptome liefern kann. 

 

Andere therapeutische Strategien unterstützen Betroffene darin, die oben grob beschriebenen Mechanismen der Aufrechterhaltung der Symptomatik und der Anheizung von Teufelskreisen zu unterbrechen. 

 

Auch an der oft gar nicht bewussten inneren Einstellung gegenüber der eigenen Gesundheit, dem eigenen Körper und der Wahrnehmung seiner Funktionen sowie der Fähigkeit zu entspannen, wird in der Therapie gearbeitet. 

 

Individuelle Themen, die bei der Problematik eine Rolle spielen können, werden bearbeitet, um einen langfristig hilfreichen Umgang mit körperlichen Beschwerden zu erlernen. 

 

  

Literaturangaben zu den Informationen

 

Margraf, J. Neumer, S.-P. & Rief, W. (1998). Somatoforme Störungen - Ätiologie, Diagnose und Therapie. Springer.

 

 

Rief, W. & Hiller, W. (2011). Somatisierungsstörung. Hogrefe.